Interview mit Heiner Popken zum Projekt „Meine Rechte durchsetzen“

Projektleiter Heiner Popken

Heiner Popken ist Jurist und leitet für das ZSL Nord e.V das von Aktion Mensch geförderte Projekt „Meine Rechte durchsetzen!“. Er klagt in dem Projekt die Rechte von Menschen mit Behinderungen vor Gericht ein.

I: Du setzt dich in deinem Projekt „Meine Rechte durchsetzen!“ für Menschen mit Behinderungen ein. Warst du schon immer in dem Bereich tätig?

Ich war viele Jahre bei der Staatsanwaltschaft in Lübeck tätig und obwohl ich damals bereits lange an Multipler Sklerose gelitten habe und Rollstuhlnutzer war, wollte ich mit dem Thema Behinderungen nichts zu tun haben. Ich hatte da gar keinen Bock drauf. Ich wollte nicht behindert sein. Warum, wusste ich damals nicht.

I: Irgendwann hast du aber „Bock“ auf das Thema Behinderungen bekommen. Wie kam es dazu?

Ich bin 2018 in den Vorruhestand versetzt worden. Ich hatte einen Unfall, war lange in der Reha und mir ging es richtig schlecht. Schließlich wurde meine Dienstunfähigkeit festgestellt und ich war raus aus meinem Beruf. Mein Lebensentwurf war gescheitert und das, was immer gerade noch so ging, ging nun nicht mehr. Ich war vom Pflegedienst abhängig und konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wie ich mein Leben nun organisieren soll. Da habe ich dann das erste Mal angefangen, mich mit dem Teilhaberecht zu beschäftigen.

I: Und hast dich dann von einer EUTB beraten lassen…

Die haben mir zur Assistenz geraten. Ich habe dann tatsächlich einen Antrag gestellt. Über zwei Jahre musste ich mit der Eingliederungshilfe kämpfen. Ich konnte den Pflegedienst aber schlussendlich kündigen und habe mir ein Assistenzteam aufgebaut. Ich war tatsächlich frei und konnte mein Leben wieder ganz anders gestalten.

„Meine Behinderung nicht zu akzeptieren und unbedingt an einem Selbstbild festhalten zu wollen, welches mit der Realität schon lange nichts mehr zu tun hatte, hat unfassbar viel Kraft gekostet. Diese Kräfte sind frei geworden, nachdem ich endlich gelernt habe, mich „liebevoll anzunehmen“ “.

I: Kurz darauf bist du selbst Berater bei der EUTB beim ZSL Nord e.V. geworden. Hat sich die Einstellung zu deiner eigenen Behinderung dadurch verändert?

Durch meine Weiterbildung zum Peer Counselor habe ich angefangen, mich mit meiner eigenen Behinderung auseinanderzusetzen. Ich habe das Peer Counseling – also eine Methode, bei der Menschen mit Behinderungen andere Menschen mit Behinderungen beraten – richtig „verstanden“. Es hat mir sehr geholfen. Meine Behinderung nicht zu akzeptieren und unbedingt an einem Selbstbild festhalten zu wollen, welches mit der Realität schon lange nichts mehr zu tun hatte, hat unfassbar viel Kraft gekostet. Diese Kräfte sind frei geworden, nachdem ich endlich gelernt habe, mich „liebevoll anzunehmen“.

I: Du bist dann auf die Idee gekommen, ein Projekt zu entwickeln, in dem du die Rechte von Menschen mit Behinderungen einklagst – wie kam es dazu?

Die EUTB darf ja keine Rechtsdienstleistung erbringen, sondern Betroffene nur pauschal über rechtliche Möglichkeiten informieren. Die Beratung hat also da aufgehört, wo es für mich als Jurist interessant wurde. Das hat mich frustriert. Ich bin dann beim Lesen der Sozialgesetzbücher auf den § 85 SGB IX gestoßen…

I: Was besagt der Paragraph?

Unser Rechtssystem ist ja so aufgebaut, dass nur der klagen kann, der in seinen Rechten verletzt ist. Wenn zum Beispiel mein Nachbar in seinen Rechten verletzt ist, kann ich nicht einfach für ihn klagen. Beim § 85 wird das aufgebrochen. Er besagt, dass Verbände für die Rechte von Menschen mit Behinderungen klagen dürfen. Das ist dann eine Klage des Verbandes, was heißt, dass die Betroffenen keine Risiken tragen. Mich hat es gewundert, dass bis dato kaum jemand von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat. Den Paragraphen gibt es ja seit 2001. Ich habe dann versucht, Janine Kolbig, die Geschäftsführerin des ZSL Nord e.V., von dem Projekt zu überzeugen und konnte sie auch dafür gewinnen. Wir haben das Projekt dann bei Aktion Mensch beantragt und es schlussendlich bewilligt bekommen.

I: Wenn ich mich als Mensch mit Behinderung in meinen Rechten verletzt fühle, kann ich mich also an dich wenden und du klagst quasi als ZSL Nord e.V. vor Gericht. Wie läuft das konkret ab?

Wenn jemand aus Schleswig-Holstein einen geeigneten Fall hat, können wir sagen: „Wir klagen für dich und du trägst keine Risiken, kannst dich entspannt zurücklehnen oder – wenn du magst – dich aktiv einbringen“. Die Betroffenen müssen nichts bezahlen und verlieren nichts. Das ist unser Risiko und nicht ihr Risiko. Und wenn wir gewinnen, bekommen sie die Leistung, für die wir klagen.

„Ich will den Menschen in den Behörden nichts Böses unterstellen, doch es ist immer noch dieses: „Wir wissen, was gut für euch ist und entscheiden das über eure Köpfe hinweg“ “.

I: Ist es etwas Besonderes, wenn die Betroffenen von einem Verein wie dem ZSL Nord e.V. beraten werden, bei dem viele Menschen selbst eine Behinderung haben?

Im Vergleich zu herkömmlichen Anwälten haben wir Menschen mit Behinderungen es selbst erfahren. Ich beschäftige mich nicht nur juristisch mit dem Thema Behinderungen – ich spüre das, ich fühle das. Ich habe eine ganz andere Betroffenheit. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Behörde demütigend mit dir umgeht. Wie bereits erwähnt hatte ich insgesamt drei Gerichtsverfahren und dabei ein Assistenzteam für mich durchgesetzt. Deswegen glaube ich, dass Selbstvertretungsorganisationen da mehr Potenzial haben.

I: Du hast gesagt, dass die Behörde demütigend mit dir umgegangen ist. Siehst du bei den Behörden generell das größte Problem, wenn es um die Durchsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen geht?

Wir sind als ZSL Nord e.V. ja auch politisch tätig und können die Politiker anregen, neue Gesetze zu machen und bestehende zu verbessern. Diese politische Ebene ist auch gut und die wollen wir auch weiterhin aufrechterhalten. Wir müssen aber auch auf der Ebene der Verwaltung dafür sorgen dafür sorgen, dass die Gesetze im Sinne der UN-Behindertenrechtskonventionen angewendet werden. Meiner Meinung nach haben wir viele Gesetze, die gar nicht so schlecht sind, die von den Behörden aber teilweise schlecht umgesetzt werden. Über den § 85 haben wir die Möglichkeit, Behörden dahingehend zu kontrollieren – und für eine bessere Rechtsanwendung zu sorgen. Ich will den Menschen in den Behörden nichts Böses unterstellen, doch es ist immer noch dieses: „Wir wissen, was gut für euch ist und entscheiden das über eure Köpfe hinweg“.

„Ich habe am Anfang lange mit einer Klage gewartet, weil ich den ersten Fall unbedingt gewinnen wollte. […]. Im Nachhinein muss ich sagen: Das war ein Fehler“.

I: Den Behörden mehr auf die Finger zu schauen, ist also ein Ziel des Projekts. Welche Ziele hast du noch?

Wir wollen uns in den Bereichen, in denen es nötig ist, vor den Gerichten durchsetzen, damit die Anwendung von Gesetzen zu bestimmte Sachverhalten geklärt ist. Die Behörden müssen sich dann an die Urteile halten. Dazu möchten wir als ZSL Nord e.V. nicht nur als netter Verein auftreten, sondern als ernstzunehmende Kontrollinstanz wahrgenommen werden. Wenn ein Schriftsatz von uns kommt, sollen die Leute wissen: „Die drohen nicht nur damit, die gehen auch vor Gericht“. Und ich wünsche mir natürlich, dass andere Vereine in anderen Bundesländern es uns nachmachen.

I: Das Projekt läuft nun seit eineinhalb Jahren. Wie ist dein Zwischenfazit?

Ich habe am Anfang lange mit einer Klage gewartet, weil ich den ersten Fall unbedingt gewinnen wollte. Ich habe erst fast ein Jahr nach Start des Projekts den ersten Fall eingeklagt. Im Nachhinein muss ich sagen: Das war ein Fehler. Ich habe viel zu lange gewartet. Und die Klage, die ich rausgeschickt habe, war dann doch kein Selbstgänger, wie ich gedacht hätte. Sie ist immer noch nicht entschieden. Wie gesagt, das war meine Schuld, weil ich unsicher war, wie das Gericht damit umgeht, wenn ein Verband klagt. Ich hätte mutiger sein müssen.

I: Wie willst du das ändern?

Diesen Fehler versuche ich zu korrigieren. Ich möchte im Wochentakt klagen. Bis Ende des Jahres will ich nicht eine Klage, sondern 20 Klagen am Laufen haben. Und wenn wir verlieren, dann verlieren wir eben. Ich kann nicht mehr so kritisch sein.

I: Bist du denn zuversichtlich, dass du in den nächsten Monaten einen Fall gewinnen wirst?

Ja, das bin ich.

Für mehr Informationen zum Projekt klicken sie hier.

Nach oben scrollen
Skip to content